Earth4All

Können 150 Jahre Industriegeschichte und Kapitalismus, basierend auf exponentiell wachsendem Ressourcenverbrauch, sich innerhalb der nächsten 25 Jahre im Rahmen eines radikalen und umfassenden sozial-ökologischen Wandels in eine klimaneutrale, gerechte und und weitgehend auf Kreislaufwirtschaft fußende Gesellschaft überführen lassen? Wir sagen prinzipiell: Ja.  

Schon 1972 warnte der Club of Rome in seinem ersten Bericht “Die Grenzen des Wachstums”, vor der Unmöglichkeit unendlichen materiellen Wachstums auf einem begrenzten Planeten. Sowohl was den Ressourcenverbrauch betrifft, als auch die Aufnahmefähigkeite unserer Atmosphäre, Meere und Ökosysteme, gibt es Grenzen unseres expansiven Wirtschaftsmodells, die in den vergangenen Jahrzehnten allerdings zu oft – bewusst und unbewusst –  ignoriert wurden. 

Wahr bleibt diese Erkenntnis dennoch – und ist sie heute aktueller denn je. Global überschreiten wir inzwischen sechs der neun planetaren Grenzen des Planeten, mit der Überschreitung der siebten in Reichweite. Die Auswirkungen dieses globalen ökologischen Overshoot sind weltweit sichtbar, fühlbar und messbar, z.B in Form von Abholzung, Bodenerosion, Verlust der Artenvielfalt und der Anhäufung von Kohlendioxid in der Atmosphäre .  

Deutschland hat als reiches Industrieland überproportional zu dieser Überschreitung beigetragen.  

Dabei sehen wir heute, dass ein auf grenzenlose Extraktion und Expansion ausgerichtetes Wirtschaftsystem nicht nur die natürlichen Grundlagen zerstört auf das es angewiesen ist, sondern nicht einmal in der Lage ist, das Wohlergehen für alle Menschen zu sichern. Die Kluft zwischen Reich und Arm nimmt zu. 

Es ist Zeit für einen radikalen Wandel – einen Giant Leap zu einer sozial-ökologischen Transformation, die das gesellschaftliche Wohlergehen für alle innerhalb der planetaren Grenzen sicherstellt. 

Die Illusion des grenzenlosen Wachstums 

Die Vorstellung von unbegrenztem Wirtschaftswachstum als als Indikator für die  Steigerung von Wohlergehen ist schon längst überholt. Wachstum, das nicht zu mehr Lebenszufriedenheit beiträgt, ist Wachstum auf Kosten von Umwelt, Mitwelt, und Nachwelt. 

Stattdessen braucht es neue Visionen für eine “Wohlergehensgesellschaft”, die nicht den unersättlichen Drang nach mehr Reichtum, Macht, Produktion und Konsum in den Vordergrund stellt, sondern das Wohl aller innerhalb der ökologischen Kapazitäten unseres Planeten. Diese Zielsetzung darf allerdings nicht im normativen Nirvana enden oder bei Schaufensterreden für eine bessere Welt stehenbleiben. Und die Verantwortung auf Individuen abzuladen ist zwar politisch bequem, aber sinnlos: Auf Apelle an individuelle Verhaltensänderungen zur Behebung systemischer Krisen  zu setzen, ist zum Scheitern verurteilt. Stattdessen gilt es, konkrete politische Schritte zu formulieren, die Antworten darauf geben, wie die soziale und ökologische Frage gemeinsam und auf systemischer Ebene   gelöst werden können. 

Nach unserer Ansicht müssen, um den Giant Leap zu schaffen, «Kehrtwenden« gemeinsam und zügig angegangen werden. Earth4All zeigt, dass es effektiver, kostengünstiger und einfacher ist, diese Transformation ganzheitlich zu gestalten, anstatt isolierte Maßnahmen umzusetzen. Nur so lassen sich Synergien erschließen und die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung gewinnen. 

  1. Armutswende: Armut ist nicht nur ein moralisches Problem, sondern blockiert auch die ökologische Transformation. Nur durch die Beseitigung von Armut – sowohl global als auch national – können wir die Grundlage für eine gerechte und nachhaltige Gesellschaft schaffen. Zielgerichtete staatliche Investitionen und eine gerechtere Verteilung des Wohlstands sind dabei unverzichtbar. 
  1. Ungleichheitswende: Eine sozial-ökologische Transformation ohne den Abbau von Ungleichheit ist zum Scheitern verurteilt. Die reichsten 10 % der Deutschen besitzen über 60 % des Vermögens und tragen gleichzeitig überproportional zur Umweltzerstörung bei. Reiche stärker zu besteuern und den Zugang zu Ressourcen gerechter zu gestalten, ist nicht nur ökologisch notwendig, sondern stärkt auch den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie. 
  1. Empowermentwende: Frauen und marginalisierte Gruppen müssen stärker in die Gestaltung unserer Zukunft eingebunden werden. Die Stärkung der Selbstwirksamkeit, ein gerechteres Sorgesystem und eine Transformation des Bildungssystems sind zentrale Hebel, um das volle Potenzial aller Menschen zu entwickeln und den Wandel voranzutreiben. 
  1. Ernährungswende: Unser aktuelles Ernährungssystem schadet sowohl unserer Gesundheit als auch dem Planeten. Eine verstärkte Förderung pflanzlicher Lebensmittel, eine nachhaltigere Landwirtschaft und eine gerechtere Verteilung der Ressourcen sind der Schlüssel für eine gesunde und zukunftsfähige Ernährungskultur. 
  1. Energiewende: Eine vollständig klimaneutrale Energieversorgung ist machbar, doch dafür müssen wir nicht nur in erneuerbare Energien investieren, sondern auch unseren Energieverbrauch reduzieren. Energieeffizienz, Suffizienz und die rasche Umsetzung erneuerbarer Energien sind essenziell, um die Energiewende zu einem Erfolg zu machen. 

Die notwendige Transformation bedeutet nicht Verzicht oder Einschränkung, sondern die Chance auf ein besseres Leben für alle. Es geht darum, den gemeinsam erwirtschafteten gesellschaftlichen Reichtum gerechter zu verteilen und gleichzeitig maßvoller mit den Ressourcen umzugehen.  

Technologische Lösungen wie erneuerbare Energien und Energieeffizienz sind zentrale Bausteine, aber sie allein reichen nicht aus. Der  weltweit rasch wachsende Ressourcen- und Flächenverbrauch z.B. für Wind- und Solaranlagen zeigt, dass auch erneuerbare Energien  auf planetare Grenzen stoßen, da wir gleichzeitig sicherstellen müssen, Flächen zu renaturieren, Wälder intakt zu halten, und ausreichenden Ackerbau  für den Anbau von Lebensmitteln zur Verfügung zu haben.  Es geht nicht nur darum sauberere Energie zu produzieren, sondern auch weniger davon zu verbrauchen.  

Eine im Auftrag von Earth4All durchgeführte Umfrage zeigt: Diese Veränderungen sind mehrheitsfähig – wenn die Politik die richtigen Rahmenbedingungen schafft. 

66 % der Deutschen sind der Meinung, dass die Welt in den nächsten zehn Jahren in allen Wirtschaftssektoren (Stromerzeugung, Verkehr, Gebäude, Industrie, Ernährung) drastische Maßnahmen ergreifen muss. Die Mehrheit ist der Meinung, dass wohlhabende Menschen höhere Steuern zahlen sollten (71 %). 75 % sind der Meinung, dass die Regierung eine kostenlose Gesundheitsversorgung sicherstellen sollte. 71 % halten die Stärkung der Arbeitnehmerrechte für wichtig, usw. 

Demokratie und soziale Gerechtigkeit stärken 

Ein integrativer Ansatz, der den sozialen Zusammenhalt und die Demokratie stärkt, ist der Schlüssel zum Erfolg. Wenn die Transformation auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die ohnehin die vergangenen Jahrzehnte kaum von unserem Wirtschaftssystem profitiert haben, gefährdet dies die Demokratie.  

Der Giant Leap bietet die Chance, gesellschaftliche Gräben zu schließen und den Wandel gemeinsam zu gestalten.  

Zukunftsinvestitionen: Notwendig und finanzierbar 

Die Umsetzung dieser Vision erfordert mutige und umfangreiche Zukunftsinvestitionen. Diese sind nicht nur notwendig, um zukünftige Schäden abzuwenden, sondern auch finanzierbar. Der Abbau klimaschädlicher Subventionen und eine gerechtere Verteilung der finanziellen Lasten – insbesondere durch die stärkere Besteuerung von Reichen – sind zentrale Maßnahmen, um die finanziellen Mittel für die Transformation bereitzustellen, aber auch eine Reform der Schuldenbreme ist essenziell, um die enormen Zukunftsinvestitionen leisten zu können.  

Trotz multipler Krisen gibt es gute Gründe für mehr Optimismus: drastische Kostensenkungen für erneuerbare Energien und weltweite soziale Bewegungen für einen integrierten Systemwechsel sind nur zwei Beispiele. Die Zeit für Mut, Visionen und entschlossenes Handeln ist jetzt. 

Weitere Informationen zum Buch gibt es hier.

Zuvor veröffentlicht in Table Media am 17. Oktober 2024